Blick vom Lausitz-Tower auf den Zentralpark im Stadtzentrum von Hoyerswerda. Hier standen bis 2004 elfgeschossige Hochhäuser. Nach deren Abriss und anschließender siebenjähriger Planungs- und Bauphase erfolgte 2011 die Einweihung des 3,6h großen Parks.


Matthias G. (links) und Matthias Galle sind Mitbegründer der Initiative "Pogrom91", dem Selbstverständnis nach ein Archiv zur Dokumentation der rassistischen Angriffe auf Asylsuchende und Vertragsarbeiter in Hoyerswerda im September 1991, das neben Aufklärung und Information auch eine Plattform für eine kritische Auseinandersetzung mit den Ereignissen bereit hält. Matthias Galle zur Motivation der Gründung: "Der Auslöser war unser Leben als alternative Jugendliche in Hoyerswerda, die oft von Neo-Nazigewalt betroffen waren. Wir hatten uns aus einer Jugendkulturbewegung heraus mit Politik beschäftigt. Und haben uns gefragt, was war eigentlich 1991 los hier? Weil uns das niemand so richtig sagen konnte und es in der Bibliothek und auch auf der Internetseite der Stadt keine Information gab, um uns zu bilden, haben wir selbst angefangen, Materialien herauszusuchen und zu recherchieren. 2011 haben wir dann die Initiative „Pogrom 91“ mit der Kernforderung gegründet, ein Denkmal für die Ereignisse von 1991 zu errichten. Wir wollten diese Diskussionen um ein Denkmal für eine politische Auseinandersetzung und Aufarbeitung des Themas nutzen."

 


 

1998 eröffnet Andrea Hartkopf das Tanzlokal „Zur Börse“, das sie 17 Jahre lang im Wohnkomplex 10 (WK 10) eigenständig führte. In dieser Zeit gab es viele Umbrüche, aber die tiefgreifendste wirtschaftliche Zäsur sei die Einführung des Euro 2002 gewesen. „Bis dato war der Zusammenhalt noch da und auch die übliche Ausgehweise,“ erinnert sich Andrea Hartkopf. Doch dann verließen viele ihrer Stammkund*innen nach und nach die Stadt – „für's Tanzen fehlten zuerst das Geld, dann die Leute.“ Sie schloss das Tanzlokal 2015 und eröffnete den Indoorspielplatz Spielhaus TOBIX. 2017, zwei Jahre später, gibt sie den Gebrauchtwarenhandel nach mehr als 10 Jahren zugunsten eines Trampolinparks auf. Sie wohnt direkt über der Springhalle, deren Außenfassade eine Luftaufnahme des einstigen WK 10 zeigt. „Wenn Familien heute an meiner Halle vorbeikommen, auf die Wandbemalung deuten und damit ihren Kindern zeigen, wie es hier mal aussah oder wo sie vielleicht mal gewohnt haben, dann bricht mir immer wieder das Herz.“ Aus unzähligen Gesprächen weiß Andrea Hartkopf, dass ein Großteil der Menschen staatliches Versagen für die eigene Misere verantwortlich machen. Vielleicht sei „damals vieles schief gelaufen in der Politik“, sagt sie, „aber irgendwann muss man doch einfach mal begreifen, dass der Staat nicht deines Glückes Schmied ist.“


Anke Galle lebt seit 1968 in Hoyerswerda, Robert seit 1984. Sie sind verheiratet und haben zwei erwachsene Kinder. Früher wohnten sie im Wohnkomplex III und zogen 1999 an den Stadtrand, in eine Einfamilienhaussiedlung nach Zeisig. Beide sind berufstätig und in der Flüchtlingshilfe aktiv. Robert singt im Bürgerchor und ist Trainer für Karate-Do für Kinder. Durch das Engagement ihres Sohnes Matthias kommt es im Sommer 2015 zu einem persönlichen Kontakt mit Bewohner*innen einer Unterkunft für Migrant*innen. Es ist das erste von insgesamt drei Heimen, das binnen eines Jahres in Hoyerswerda eröffnet wurde. Anke und Robert bringen ein paar Zelte vorbei und unterstützen so den Hungerstreik, mit dem einige syrische Migrant*innen um eine schnellere Bearbeitung ihrer Asylanträge kämpfen. Im Laufe der Wochen vertiefen sich bei wiederholten Zusammenkünften die persönlichen Kontakte. Anke und Robert sehen sich nicht als Teil einer Initiative, sondern betonen, dass ihr Engagement für Geflüchtete aus einzelnen Begegnungen resultiert. Robert sieht das gemeinsame Engagement als persönliche Bereicherung und als Chance für die Geflüchteten: „Im Prinzip entsteht so ein kleines Netzwerk mit dem die, die bei uns bleiben wollen, sich selbst helfen. Wir freuen uns, wenn wir unterstützen können und sie dann ein paar Freunde gefunden haben, damit sie sich schließlich alleine weiterentwickeln können.“


Dorit Baumeister wuchs in Hoyerswerda auf und ist nach dem Studium und den ersten Berufserfahrungen in Berlin und Bayreuth 1992 als Architektin in die Lausitz zurückgekehrt. Für sie hat Hoyerswerda einen doppelten Pilotcharakter: als einstige sozialistische Vorzeigestadt der DDR und als schrumpfende Stadt nach dem Kollaps der Wirtschaft 1990. Deindustrialisierung und Rückbau hat Dorit Baumeister ins Positive umgedeutet, hat den Prozess als schöpferische Möglichkeit begriffen und die Neustadt künstlerisch mit mehreren Projekten bespielt: Los ging es mit „Superumbau“ (2003), gefolgt von „Malplatte“ (2009), „Auszeit – Nachdenken über H.“ und „Eine Stadt tanzt“ (2010). Über die frühen Neunziger in Hoyerswerda sagt sie: „Das Schlimme war ja, dass die Menschen sich hier als Loser fühlten. Hinzu kommt ja auch noch Hoyerswerda 1991, die Rechtsradikalen…das weiß jeder! Das legt sich bis heute über die Stadt. Und das ist schwer für die Menschen. Dann das andere Schicksal, das der Schrumpfung. Hoyerswerda, die Abrissstadt. Damit klarkommen und dann keinen Dialog führen. Wie soll das gehen? Wir hätten die Konzepte, die wir als Verwaltung aufgestellt haben, nach draußen bringen müssen. Nichts dergleichen ist passiert. Und sagen müssen, dass es schmerzt, wenn Kinder, Verwandte, Freunde weggehen. Mein großes Ziel war es, das Schweigen aufzubrechen. Mit Mitteln der bildenden Kunst, mit Kultur. So kam es zum großen Startprojekt Superumbau 2003, zusammen mit der Bundeskulturstiftung."


Nach der Trennung ihrer Eltern zog Soie, damals 6 Monate alt, mit ihrer Mutter aus dem baden-württembergischen Altlußheim 1999 nach Hoyerswerda. Soie wuchs hier auf, ging hier zur Schule und absolviert augenblicklich eine weiterführende Ausbildung an der Anerkannten Schulgesellschaft (ASG) zur Fachpraktikerin in Hauswirtschaft. Sie will nach erfolgreichem Abschluss ihre berufliche Tätigkeit in diesem Bereich weiterführen. Hoyerswerda bedeutet für Soie Heimat, hier wohnen ihre Freunde und ihre Familie. In ihrer Freizeit hängt sie im „Lausi“ ab, dem Lausitz-Center, der örtlichen Shoppingmall. Ihre Hobbies, singen und tanzen, hat sie vorerst an den Nagel gehängt und konzentriert sich nun gänzlich auf ihre Ausbildung. Zusammen mit ihrer fast drei Jahre alten Katze Daisy, die am selben Maitag wie Soie Geburtstag hat, wohnt Soie bei ihrer Mutter. Ihr Wunsch ist es, an einen Ort zu reisen, an dem es warm ist. Hier würde sie in einem schicken Hotel wohnen. Das hätte einen Pool und einen Strand in der Nähe.


Zwischen Abriss und dessen Ankündigung lag ca. ein Jahr“, erinnert sich Bettina Nachtigall. Innerhalb dieses Zeitraums musste ein Umzug in „adäquaten Wohnraum“ vollzogen werden. „Wie hier Nachbarschaften zerpflückt wurden, das war besonders schlimm für alte Menschen.“ Sie bedauert sehr das fehlende Gemeinschaftsgefühl, das in der Neustadt mal existierte, „diese Mischung aus Wohn- und Erlebnisbereich, wo Kita, Schule, Gaststätte und andere Treffpunkte im eigenen Wohnbezirk vereint“ waren. Heute, „in einer sich permanent anonymisierenden Stadt, achtet keiner mehr auf den anderen.“ Bettina Nachtigall ist seit 2009 Erzieherin im Jugendclub Ossi, dem letzten Teenie-Treff in Hoyerswerda. Durch die hohen Abwanderungszahlen und von dem daraus resultierenden Rückbau der Neustadt im Rahmen des Stadtumbau Ost war sie direkt betroffen. Sie war die letzte Mieterin des ersten Abrisshauses des Wohnkomplex IX. Das Foto zeigt Bettina Nachtigall auf der Wiese an der Thomas-Münzer-Strasse. Sie steht ungefähr dort, wo einmal die Treppe zur Eingangstür ihrer früheren Mietwohnung war.


Hoyerswerda-Neustadt: Blick auf den restlichen Baubestand des Wohnkomplexes 10 in der Otto-Nagel-Straße. Zwischen 1986 und 1990 wurden hier in Plattenbauweise 2000 Wohnungen errichtet. WK 10 war der jüngste Komplex in der Baugeschichte Hoyerswerdas und gleichzeitig auch der erste, der nach 1990 wieder abgerissen wurde.